Wortprotokoll Frontal21 Beitrag v. 07.05.2002 - Maulkorb-Erlass - Download als .doc

-Vorspann-
Manchmal sind es die kleinen Dinge, die beeindrucken.
Vor wenigen Tagen erzählte mir eine Mutter, wie es ist, wenn sie mit ihren drei Söhnen, keiner älter als fünf, spazieren geht, und dabei immer wieder auf Kampfhunde trifft.
Die rennen frei herum, von Maulkorb oder Leine keine Spur.
Der Kopf des Hundes ist dann ungefähr auf der Höhe der Köpfe ihrer Kinder.
Wenn die Mutter die Hundebesitzer dann anspricht, und dann darum bittet die Vierbeiner, wie es in Berlin gesetzlich vorgeschrieben ist, anzuleinen, dann erntet sie allzu oft nur geringschätzige Blicke, oder Kommentare, wie: "Was wollen Sie, der tut doch nichts.".
Die Kampfhundeverordnungen werden allzu häufig ignoriert, oder, wie in vielen anderen Bundesländern, von den Gerichten wieder abgeschafft.
Eine skurille, sehr deutsche Diskussion, nimmt ihren Lauf.
Friedrich Kurz berichtet:

Szene 1:
Marie S. könnte noch gesund sein, wenn sie nicht in der vergangenen Woche von einem Kampfhund angefallen worden wäre. Er zerriß ihr die Wange. Die Wunde ist fünf Zentimeter lang. Sie war in Mannheim beim Einkaufen unterwegs, hier in der Fußgängerzone sprang der Hund sie an, obwohl er angeleint war. Besitzerin und Hund sind flüchtig.
Marie S: "Der hätte ´nen Maulkorb trage´ solle´, so hätt´ er mich nich´ gebisse´!"

Szene 2:
Politische Ironie: Kurz zuvor hob der Verwaltungsgerichtshof die Hundeverordnung auf, die Maulkorbpflicht für alle Kampfhunde vorschrieb. Das sei zu streng, urteilten die Richter.
Rolf Schmidt, CDU, BM Mannheim: "Es erfüllt einen schon etwas mit Zorn, wenn man versucht, äh, sich als Verwaltung, auf die Gefahr, äh, der Kampfhunde, die, äh, in der Tat eine Gefahr für die Bevölkerung darstellen, diesem Herr zu werden, und die Gerichte, äh, hebeln einen dann das, was man beschlossen hat, und was man auch umsetzen will, mit seinen kommunalen Ordnungsdienst, einfach aus."

Szene 3:
(Kamera zeigt Schäferhund mit Halti) Auch in der vergangenen Woche am Düsseldorfer Landtag; eine Kundgebung voll politischer Beißkraft. Tausend Hunde und ihre Besitzer protestieren gegen die geplante Kampfhundeverordnung der Landesregierung. (Kamera zeigt AmStaff-Mischling (?) und dann Mastin Español) Das Gesetz enthält Leinen- und Maulkorbzwang für 41 Kampfhunderassen. Das akzeptieren die Demonstranten nicht. (Kamera zeigt einen AmBulldog) Es gibt keine Kampfhunde, behaupten sie, und, Kampf dem Maulkorbzwang. (Frau schmust mit AmPit-Bull (?) - mit Halti). Sie zeigen Stoffhunde, symbolisch an´s Kreuz genagelt. Sie scheuen nicht vor unsäglichen Vergleichen zurück. (Schild mit Aufschrift: "95% der Hunde bestehen die Tests! Warum Maulkorb & Leinenzwang?) Den Hundegesetzentwurf von Umweltministerin Höhn setzen sie mit der Rassenpolitik der Nazis gleich. (Schild mit Zitat einer Buchautorin (Su Winter - Kampfhund sucht Schutzengel) Der Kollektivschuld und dem Rassenwahn waren wir schon einmal zugetan...)

Szene 3b:
Sprecherin von MTW, Menschen-Tiere-Werte e.V. (Ohne Namenseinblendung):
"In welchem Land leben wir, daß wir, brave Hundehalter, so diskriminiert und kriminalisiert werden sollen?" (Applaus in der Menge)
Ihnen gilt jeder Kampfhund als ungefährlich, solange er noch niemanden verletzt hat. (Transparent mit Säugling und Shar-Pei-Welpen sowie Schriftzug: AN FRAU HÖHN: Sie haben keine Chance uns zu trennen!") Ministerin Höhn verlangt ohnehin den Maulkorbzwang nur für jene Kampfhunde, die beim amtlichen Wesenstest durchfallen. Die Hundefans beißen zurück.

Szene 3c:
Frau Dr. Helga Eichelberg (ohne Namenseinblendung): "... als gefährlich erkannt zu werden. Ja mein Gott, was ist denn das für eine Rechtsauffassung. Natürlich muß er erst beißen, um als gefährlich erkannt zu werden, denn wenn er nicht beißt is´ er ja auch nicht gefährlich." (Applaus in der Menge)

Szene 4:
(B.Höhn beim Essen) Ministerin Höhn hat ein zurückhaltendes Gesetz vorgelegt, aus Furcht vor gerichtlichen Niederlagen, wie in anderen Bundesländern. Ihr Gesetz listet zwar alle gefährlichen Hunderassen auf, doch entscheiden soll der Wesenstest.
Bärbel Höhn, B´90/Grüne, Umweltministerin NRW: "Bei bestimmten großen Hunden, die gefährlich werden können, machen wir Auflagen, aber wenn die Hunde es schaffen sich durch einen Test, äh, nachzuweisen, daß sie ungefährlich sind, können sie sich von diesen Auflagen wieder befreien. Und da haben bisher alle Gerichte gesagt, dieser Ansatz ist gerichtsfest."

Szene 5:
(Bellender Dobermann im Tierheimzwinger) Konkret heißt das, wenn ein gefährlicher Kampfhund während des etwa zweistündigen Psychotests nicht angreift, gilt er lebenslang als harmlos. (Bellender AmStaff (?) im Tierheimzwinger) Er darf ohne Leine, ohne Maulkorb herumrennen, auch wenn andere Menschen Angst vor ihm haben, und die haben 75% aller Deutschen, laut Umfragen.

Szene 6 :
(Fernsehbilder aus 2000 - Hamburg-Wilhelmsburg) Bilder wie diese haben vor zwei Jahren Deutschlands Öffentlichkeit alarmiert. Nach dem Tod des kleinen Volkan durch zwei rasende Pit Bulls in Hamburg, versprachen Politiker, solche Taten künftig zu verhindern. Aber, nach wie vor gilt in Deutschland, in einigen Bundesländern ist man gegen Kampfhundeattacken besser geschützt als in anderen. In den blau gekennzeichneten Ländern gilt absoluter Maulkorbzwang (Bayern, RLP, McPomm, Brandenb., Berlin, HH), ohne Befreiungsmöglichkeit durch Wesenstest. In den übrigen Ländern jedoch kippten hundefreundliche Richter solche Verordnungen gleich reihenweise. (auf der Karte alle gelb, bis auf Thüringen, §-Symbol in den Ländern: SH, Niedersachsen, NRW, Hessen, BaWü) Hundegutachter reden ihnen ein, die Rasseeinteilung sei ungenau, und ungerecht. Jeder einzelne Kampfhund müsse statt dessen von ihnen hundepsychologisch begutachtet werden. Dafür kassieren dieselben Gutachter meist zwischen 400 und 1000 Euro pro Hund; ein lohnendes Geschäft! Doch diese Aggressionstests haben nur begrenzten Aussagewert, sind nur eine Momentaufnahme (Foxterrier schnuppert an Mischling). Auch Hunde verändern ihr Wesen.

Szene 7:
Besonders gut weiß das Wolfgang Poggenpohl, vom Hamburger Tierschutzverein, der schon Hunderte von Kampfhunden geprüft und vermittelt hat. (Schäferhund bellt hinter Tierheimzwingergitter).
Wolfgang Poggendorf, TSV Hamburg (Namenseinblendung stimmt!): Selbst wenn ein Hund einen Aggressions-, einen Wesenstest bestanden hat, ist nicht sichergestellt, daß von diesem Hund keine Gefahr mehr ausgeht. Von daher würde ich immer empfehlen, daß besonders bei Großhunden, in bestimmten Situationen, bei Veranstaltungen, ein Maulkorb bereitliegt, um den Hund oder auch andere Lebewesen zu schützen."

Szene 8:
Zu den kampfhundefreundlichen Gutachtern zählt die Kieler Verhaltensforscherin Dorit Feddersen. Sie redete der Justiz das Rassekriterium aus. Es gäbe ja große Aggressivitätsunterschiede, ähnlich wie hier bei den Wölfen im Kieler Universitätsgehege. (Wolf ahndet Revierverletzung eines anderen) Erst recht ist sie gegen generelle Maulkorbpflicht.
Dr. Dorit Feddersen Petersen, Verhaltensforscherin, Uni Kiel (Einblendung stimmt): "Eine generelle Maulkorbpflicht ist eine verordnete Tierquälerei. Die ist Tierschutzrelevant. Hunde sind Lauftiere, und, ähm, Hunde, äh, nehmen im Sinnesbereich, äh, des Riechens sehr viel auf, und, ähm, verhalten sich auch entsprechend, und es sind soziale, obligat-soziale Lebewesen, die eben auch lernen müssen, ähm, störungsfrei mit anderen Hunden Kontakt aufzunehmen, Konflikte auszutragen; das geht mit dem Maulkorb halt schwieriger.

Szene 9:
Solche Theorien sind Wasser auf die Mühlen der Maulkorbgegner. (Transparent: "MEIN BESTER FREUND EINGEZÄUNT?") Daß ihre Hunde nicht, wie es heißt, mehr mimisch miteinander kommunizieren können, und dann im Sommer auch noch zu kollabieren drohen, das können Kampfhundefans nicht fassen.
Demonstrant: "Ich find´ es eine unverschämte Schweinerei, mit der Mailkorbpflicht."

Szene 10:
Hitzetod im Maulkorb, ja oder nein? Diese absurd klingende Frage beschäftigte den Tiermediziner Professor Simon schon vor 30 Jahren. Im Max-Planck-Institut Bad Nauheim erforschte er die Hitzeregulierung bei Hunden. Seine klare Schlußfolgerung: Maulkörbe sind unschädlich.
Prof. Eckhart Simon, Max-Planck-Inst. Bad Nauheim: "Dazu sind die Hunde auf ein Laufband gestellt worden, und um ihr, um Hecheln anzuregen, und man hat dann, durch die Messung des ausgeatmeten Wasserdampfs, und durch Bilanzierung der Wärmebildung und der Gesamtwärmeabgabe, festgestellt, daß etwa 50% der Wärme über die Atmung und 50% über die Haut abgegeben werden. Wichtig ist, wenn man wieder auf den Maulkorb zu sprechen kommt, daß die Atmung mit geöffnetem Maul möglich ist; dann ist aufgrund dieser Untersuchungen nicht davon auszugehen, daß es zu einer nennenswerten Beeinträchtigung der Wärmeabgabe kommt.


Szene 11:
Dieser Golden Retriever hat noch nie einen Maulkorb getragen. Tierarzt Dr. Rolf Spangenberg demonstriert, wie man ihn daran gewöhnt.
Dr. Rolf Spangenberg, Tierarzt: "Hunde lassen sich ja leicht bestechen, daß man ein Leckerli nimmt, Leckerli reinlegt, und dann soll der Hund das daraus fressen." -pause - "Soo, Gott O Gott O Gott" (zu sich selbst beim gewaltsamen Zuschnüren des offensichtlich zu kleinen Maulkorbes)
Wichtig ist, die Nase bleibt frei. "Soo, und schon isser um." (Hund kneift sichtlich gequält die Augen zusammen.) Schon kurz danach hat sich der Hund an den Maulkorb gewöhnt, und kann ohne Leine bleiben. (Hund rennt zielstrebig auf die Wiese, und versucht sich den Maulkorb abzustreifen.) "Apportieren geht natürlich nicht." Frauenstimme: "Nein"

Szene 12:
Doch Kampfhundefans, wie hier in Düsseldorf, lassen sich durch neue Erkenntnisse der Hundewissenschaft, nicht beeindrucken. Was sie am Maulkorb stört, das ist die Optik.
Reporter: "Wie finden Sie, daß ein Hund mit Maulkorb aussieht?"
Demonstrant: "Beschissen."
-pause - "Ja, beschissen, also, wenn ich Sie jetz´ ´nen Maulkorb anzieh´ seh´n Sie gut aus?"
Darum geht´s: Maulkörbe machen häßlich. Ob das Menschenleben kosten kann, interessiert Frauchen und Herrchen weniger.